Bild: Markus Diegmann (links) will mit seiner „Tour 41“ auf das Schicksal von Missbrauchsopfern aufmerksam machen. Lions-Präsident Rolf Josef Niermann hat ihn zum Vortrag nach Neheim eingeladen.
Als Betroffener setzt sich Markus Diegmann mit seiner „Tour 41“ für die Rechte von Opfern ein
Ein Bericht von Katrin Clemens. Erschienen in der Westfalenpost am 21. November 2018. (Abdruck mit freundlicher Genehmigung der WP)
Neheim. „Sexueller Missbrauch darf nicht verjähren!“ steht in orangefarbener Schrift auf dem Wohnmobil, das Markus Diegmann vor dem Rodelhaus geparkt hat. In wenigen Stunden wird er hier oben auf dem Basenberg über ein Thema sprechen, das erst einmal so gar nicht zu passen scheint in die gemütliche Winterabend-Atmosphäre zwischen holzvertäfelten Wänden, Hirschgeweihen und heiterem Gelächter an den Nebentischen. Eine solche Entspanntheit, wie sie die meisten Gäste hier genießen, kennt Markus Diegmann nicht. Während er am Tisch sitzt und erzählt, wippt er nervös mit den Beinen. Ständige Unruhe begleitet ihn schon sein Leben lang. Verstärkt aber seit fünf Jahren. Damals kam ein tief sitzendes Trauma zum Vorschein. Zuvor hatte Diegmann wie viele Betroffene verdrängt, was ihm als Kind angetan wurde: mehrfach ist er damals von verschiedenen Personen missbraucht worden.
Wohnmobil-Tour zur Aufklärung
„Als betroffenes Kind musste ich mir eine Überlebensstrategie zurechtlegen“, sagt Diegmann. „Ich war immer unter Strom, bin nie sesshaft geworden.“ Lange hat er sich mit Arbeit abgelenkt, ist durch die Welt gezogen. Seit er den Missbrauch nicht mehr verdrängen kann, ist er arbeitsunfähig, leidet unter Unruhe, Schlaflosigkeit und muss immer wieder depressive Phasen durchstehen. Diegmann lebt heute von rund 800 Euro Rente im Monat, er hat seine letzte Wohnung aufgegeben und fährt jetzt mit seinem Wohnmobil durch Deutschland auf seiner „Tour 41“, mit der er auf das Schicksal von Missbrauchsopfern aufmerksam machen will. 41 ist die durchschnittliche Zahl der Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern, die in Deutschland laut Kriminalstatistiken täglich bekannt werden – die Dunkelziffer nicht eingerechnet.
Diese Zahlen haben auch Rolf Josef Niermann, den Präsidenten des Lions-Clubs Neheim-Hüsten erschüttert. Deshalb hat er Diegmann zum Clubabend eingeladen – für solche Möglichkeiten ist Diegmann dankbar. „Ich habe den Wunsch etwas zu verändern“, sagt er. „Und dazu muss das Thema angesprochen werden, nicht tot geschwiegen.“ Als Betroffener setzt sich Diegmann unter anderem dafür ein, dass es in Schulen und Kindergärten Präventionsangebote gibt, er organisiert mit seinem Verein Selbsthilfegruppen und will in Zukunft Akuthilfe-Häuser einrichten, an die sich Betroffene wenden können, wenn die traumatischen Erfahrungen sie geradezu überrollen. Für ein weiteres Anliegen sammelt Diegmann Unterschriften: Er will erreichen, dass sexueller Kindesmissbrauch strafrechtlich nicht mehr verjährt. 210.000 Unterschriften habe er schon für sein Anliegen gesammelt, die Eine-Million-Marke will er noch erreichen, bevor er sich selbst wieder Abstand zu dem Thema erlauben, sich nicht mehr jeden Tag damit auseinandersetzen will – sofern ihm die verletzte Seele das irgendwann einmal möglich machen wird.